Es gibt zahlreiche Managementmethoden, wodurch die Entscheidung, welche Methode man im Unternehmen einführen soll, gar nicht so einfach ist. Lean Management ist eine Methode, die viele von uns wahrscheinlich mit der Produktionsindustrie verbinden. Doch eignet sich Lean Management auch für andere Branchen? Und was ist zum Beispiel der Unterschied zwischen Lean Management und Agiler Führung? Franz Mair ist Experte auf diesem Gebiet und hat uns mehr über dieses schlanke Management verraten.

Franz Mair Lean Management Trainer
Über den Interviewpartner

Franz Mair ist Trainer und Coach bei MDI und war lange Zeit in verschiedenen Personalentwicklungs-und Führungspositionen tätig. Seine Kernthemen sind vor allem Führung, Kommunikation, Teambuilding-und Entwicklung und Lean Management. Über letzteres haben wir mit ihm gesprochen und so einen Einblick in die Welt von „Lean“ bekommen.

Wie würdest du Lean Management einer Person beschreiben, die den Begriff davor noch nie gehört hat?

 

Franz: Lean Management ist im Prinzip – wie aus dem Englischen übersetzt – ein schlankes Management. Das wird leider oft mit der Minimierung der Mitarbeiteranzahl verwechselt. Viele denken bei Lean Management daran weniger Personal zu brauchen, um denselben Output zu produzieren, was nicht der Fall ist. Entwickelt wurde Lean Management bereits in den 1950er Jahren bei Toyota. Der Kern dieser Managementmethode ist das Toyota-Produktionssystem, bei dem es damals darum ging, die Produktivität zu steigern. Toyota hat sich gefragt, wie sie ihre Ergebnisse optimieren können. Produktionen sind zur Optimierung natürlich sehr gut geeignet, da ich dort einen sehr direkten Hebel habe und leicht einen Ist-Soll-Vergleich machen kann. In diesem Sinne heißt Lean Management erstmal das Einführen von Werkzeugen. Ein bekanntes und recht einfaches Werkzeug, das viele Unternehmen wahrscheinlich schon einmal ausprobiert oder sogar eingeführt haben, ist die 5S Methode (Sortieren, Setzen und anordnen, Sauberkeit, Standardisierung, Selbstdisziplin). Dabei dreht sich alles um die Frage: „Wie organisiere ich meinen Arbeitsplatz so, dass ich die Suchzeiten minimiere?“ Nehmen wir an, ich habe ein Unternehmen mit 500 bis 1000 MitarbeiterInnen. Wenn dabei jeder, in etwa eine Minute pro Tag irgendwelche Unterlagen oder Werkzeuge sucht, sind das pro Tag schon einmal 500 Minuten, in denen etwas gesucht wird und meine MitarbeiterInnen unproduktiv sind. Die 5S Methode unterstützt mich dabei meinen Arbeitsplatz anzuschauen, ihn zu strukturieren und so Suchzeiten zu minimieren.

Lean Management ist aber viel mehr als nur die Implementierung neuer Werkzeuge. Aus meiner Erfahrung heraus glauben Unternehmen oft, dass mit der Einführung neuer Tools die Probleme gelöst sind. Dabei wird oft die zweite Dimension von Lean Management vergessen. Klar, auf der einen Seite gibt es die Werkzeuge, die auch wichtig sind und dazu beitragen, dass es funktioniert. Vergessen wird dabei aber gerne die menschliche Dimension. Das ist dort, wo ich stark ansetze, auch im Sinne des Leaderships. Aus meinen Erfahrungen von Nestlé, wo ich bei einem Werk Lean Management eingeführt habe, weiß ich: Du musst erst den Motor klären.

Der ursprüngliche Motor in Produktionen ist ganz stark „Demand and Control“, sprich genaue Anweisungen zu geben und anschließend kontrollieren, ob diese auch richtig durchgeführt wurden. Wollen wir produktiver werden, dann sage ich eben einfach, dass du es schneller machen musst und ich früher kontrollieren komme. Dabei liegt der Fokus ganz stark auf „müssen“. Lean Management hat aber einen Motor des Kundenfokus. So wie wir aus vielen agilen Methoden wissen, braucht es diesen Fokus auch. Ich würde sagen, dass das Toyota-System und Lean-System die Vorreiter dafür waren. Sie haben sich in die Rolle des Kunden versetzt, den Fokus darauf gelegt und sich gefragt: „Wärst du bereit für ein Produkt, das du gerne hättest, 20 % mehr zu zahlen, weil das Unternehmen ein bisschen umständlich gearbeitet hat?“ Jeder Kunde würde auf diese Frage mit einem klaren Nein antworten. Und für mich setzt genau dort Lean Management an. Man muss verstehen, wo es welche Arten von Verschwendung gibt und diese versuchen bestmöglich zu eliminieren. Für mich ist Verschwendung all das, wofür der Kunde nicht zahlen würde. Wenn ich bei einer Schnittstelle dreimal nachtelefonieren muss, ist das eine schlechte Kommunikation und somit Verschwendung. Lean Management fokussiert sich eben ganz stark darauf, permanent zu überdenken, was man tut und ob der Kunde bereit wäre dafür zu zahlen. Die Basis dafür ist das Streben nach kontinuierlicher Verbesserung. Der philosophische Kern von Lean Management in Kaizen, das heißt permanente Veränderung und Verbesserung.

Dabei müssen es nicht große Sachen sein, die zur Effizienzsteigerung führen, sondern 1000 kleine Sachen. Man muss sich bewusst sein, dass Lean Management kein 3-Jahres-Projekt ist, wo man sagt „Okay, das machen wir jetzt drei Jahre, dann ist alles besser und wir können uns wieder anderen Dingen widmen.“ Jedoch genau dort ist die Problematik für mich angesiedelt. Ich muss die Führungskräfte dazu ermächtigen, dass sie einerseits den Grundgedanken von Lean Management verstehen und sie anderseits mit bestimmten Kompetenzen ausstatten. Alles nach dem Motto: Weg von „Demand and Control“ hin zu „Coaching“. Wenn es in der Produktion zum Beispiel ein Problem bei einer Maschine gibt, sage ich nicht mehr als Führungskraft, was zu tun ist, sondern lasse die Person, die das meiste Know-How in dem Bereich besitzt und seit 20 Jahren an dieser Maschine steht, entscheiden. Ich ermächtige ihn dazu, dass er sofort die Maschine stoppen, den Fehler korrigieren kann und somit die Maschine wieder läuft. Toyota hat eine ziemlich radikale Form eingeführt. Jeder Mitarbeiter hat ein rotes Band, an dem er bei einem Fehler ziehen kann und somit die komplette Produktion stoppt. Das führt dazu, dass so lange daran gearbeitet wird, bis der Fehler eliminiert ist. Dadurch wird wirklich die permanente, kontinuierliche Verbesserung meiner Prozesse gewährleistet.

Funktionierender Motor für Lean Management

Um Lean Management erfolgreich einzuführen muss erst am Motor gearbeitet werden.
Weg von „Demand und Control“ hin zu „Kundenfokus“.

 

Kann Lean Management in allen Bereichen eingeführt werden oder eignet es sich eher für die Produktion?

 

Lean Management ist sehr stark in Produktionsbetrieben verbreitet, ich bin jedoch der Meinung, dass Lean Management überall eingesetzt werden kann. Das zeigt sich für mich gerade auch stark durch die Tendenz zu agilen Methoden. Wichtig ist als Führungskraft zu erkennen, dass man nicht immer der Experte ist und man Personen, die sich besser damit auskennen, einfach machen lassen und ihnen mehr Verantwortung übergeben muss. Die Kundenorientierung sollte dabei immer klar im Fokus stehen. Diese Kultur zu etablieren stellt viele Unternehmen vor große Herausforderungen. Wir wissen alle, dass, wenn du als Unternehmen schnell bist, vielleicht drei Jahre für einen kulturellen Wandel brauchst. Realistisch betrachtet braucht es 4 bis 5 Jahre, bis dieser Wandel wirklich in die DNA eines jeden Mitarbeiters reingeht. Man muss mit Herzblut an die ganze Sache reingehen. Das ist der Motor, der verwendet wird.

 

Gibt es deiner Meinung nach Voraussetzungen für die Einführung von Lean Management?

 

Wenn mich Leute fragen, wann man am besten Lean Management einführen sollte, antworte ich immer: Wenn es einem verdammt gut geht. Die Erfahrungen, die ich gemacht habe, zeigen, dass viele Unternehmen dazu tendieren, Lean Management einzuführen, wenn nichts anderes mehr geht, sozusagen als letzte Chance. Doch Lean Management unter Zwang oder Druck einzuführen, ist nicht etwas, das wächst.

 

Das heißt, die Voraussetzung, falls es überhaupt Voraussetzungen gibt, um Lean Management im Unternehmen einzuführen, sind auf jeden Fall der positive Spirit und ein gut funktionierendes Unternehmen. Kann man das so sagen?

 

Man muss Weitblick haben und denken, dass man bereits gut ist aber noch besser werden will und sich dann fragen was einem dabei helfen könnte. Geht es meinem Unternehmen gut, dann habe ich die Ressourcen, das Budget und die Zeit, dass das wirklich funktioniert. „Tödlich“ ist es, wenn ich die Einführung von Lean Management als letzte Chance für mein Unternehmen sehe. Das Problem ist, dass mir am Anfang durch die Veränderungen die Produktion einknickt. Die Leute müssen sich erst auf die neuen Produktionsschritte einstellen, wodurch die Produktivität erst einmal einstürzt. Geht es meinem Unternehmen schlecht, so kann das endgültig das Aus bedeuten.

 

Typische Widerstände – wann und warum die Einführung von Lean Management nicht funktioniert

 

Hast du bereits Unternehmen bei der Einführung begleitet, bei denen es nicht geklappt hat? Gibt es generell typische Widerstände, weshalb die Implementierung nicht funktioniert?

 

Ja, das habe ich schon zweimal erlebt aber in unterschiedlichen Formen. Einerseits kann es nicht funktionieren, wenn Lean Management unter Druck eingeführt wird, da alle Beteiligten automatisch überfordert sind. Ich kann nicht auf einmal einem Produktionsleiter, der es seit 20 Jahren gewohnt ist, die Autoritätsperson zu sein, sagen, dass er nicht mehr delegieren, sondern viel mehr zuhören, Feedback geben und seine MitarbeiterInnen selbst entscheiden lassen soll. Wir wissen alle, dass es schwierig ist, von gewohnten Prozessen loszulassen, weshalb man oft genau dort auf Widerstand trifft.

Um Lean Management einführen zu können, muss ich erst Leadership-Programme haben und dabei in Richtung „Weg von Delegieren hin zu Kontrolle abgeben“ gehen. Ich brauche auch die technischen Tools einer Kaskadierung von Zielen, muss meine Prozesse noch einmal überprüfen und schauen, dass sie dokumentiert werden können, auch wenn Fehler passieren. Erst wenn ich diese Basis geschaffen habe, kann Lean Management so wirken, wie ich das möchte.

Lean Management - Mensch im Mittelpunkt

Bei Lean Management stehen die Menschen im Vordergrund. Nur wenn die Unternehmenskultur verändert wird und weg von Delegation Richtung Abgabe von Kontrolle geht, kann es auch funktionieren

Eine Besonderheit, die ich auch schon einmal gesehen habe und ich sehr interessant fand, war ein Unternehmen, das Lean Management perfekt eingeführt hat. Von außen betrachtet hat das zumindest so gewirkt. Es gab unter anderem Morgenbesprechungen und Mitarbeitergespräche – toolseitig also wirklich „State of the Art“. Beim genaueren Hinsehen hast du aber gemerkt, dass das nur eine Fassade ist, da der Motor gefehlt hat. Ohne Motor kann es aber nicht funktionieren. Dann macht man eben Morgenbesprechungen, weil der Chef gesagt hat, dass man sie machen muss. Sie werden aber nicht genutzt, um sich auszutauschen und zu erkennen, wo man sich verbessern kann. Und das sind für mich so die zwei klassischen „Pitfalls“.

 

Was wären so typische Tools, die du bei Lean Management einführst?

 

Das ist nicht so einfach zu sagen, weil es unter anderem auch darauf ankommt, was das Unternehmen bezwecken will. Aber so klassische Tools, die einen sehr guten Hebel haben, sind das 5S und Gemba-Walks, also in dem Sinn ganz einfache Tools. Dabei setze ich an der Stelle an, wo das Problem entstanden ist und diskutiere das Problem nicht auf Managementebene. Ich zeige den Mitarbeitern Respekt, höre ihnen zu und versuche so gemeinsam das Problem zu lösen. Ein weiteres Tool, das oft im Rahmen von Lean Management eingeführt wird, sind Morgenbesprechungen, sogenannte „Boards“. Zum Beispiel „Dor-Wor-Mor“. Darunter versteht man „Daily-operating Meetings“, „Weekly-operating Meetings“ und „Monthly-operating Meetings“. Dabei ist die Struktur wie in der Zielkaskadierung so gewählt, dass die Themen die im dor besprochen werden, im wöchentlichen Meeting verdichtet auftreten und dann noch verdichteter im Monatsmeeting. Der Teilnehmerkreis ist immer etwas unterschiedlich und etwas kleiner, es werden aber die gleichen Themen behandelt. Die Einführung solcher Tools ändert ganz viel auf kultureller Ebene. Man gibt sehr viel Macht auf. Für viele Führungskräfte ist diese Führung auf Augenhöhe sehr schwierig. Gerade Produktionsbetriebe tendieren sehr stark dazu, eine steile Hierarchie zu haben.

Auch abseits der kulturellen Ebene ist die Einführung so einer Meetingstruktur leichter gesagt als getan. Einmal hatten wir zum Beispiel bei der Einführung von Lean Management die Zielsetzung, dass ein Meeting maximal 20 Minuten dauert. Die Produktion, Technik, Finance und HR bekommen jeweils 5 Minuten. In diesen 5 Minuten muss das mögliche Problem, der Ursprung, die Vorgehensweise, etc. abgedeckt werden. Unsere ersten Meetings haben ungefähr eineinhalb Stunden gedauert. Nach eineinhalb Jahren war es dann so weit und es hat in 20 Minuten funktioniert. Da fängt Lean Management zu leben an. Aber wie man sieht, muss man erst an sehr vielen unterschiedlichen Ecken seine Hausaufgaben machen, damit man dann wirklich diese Tools nutzen kann. Für mich wird da gerne die menschliche Komponente außen vor gelassen. Ich kann eine Meetingstruktur einführen aber wenn ich meinen Mitarbeitern nicht erkläre, wieso ich das tue und sie nicht einschule, wie man ein Meeting leitet, etc. dann funktioniert das nicht.

 

Abschließend habe ich noch eine Frage. Vieles erinnert mich an agile Führungstools. Was sind die Gemeinsamkeiten von Lean Management und Agiler Führung, oder kann man diese gar nicht so strikt trennen?

 

Das ist meine persönliche Meinung, ich würde aber Lean Management als agile Methode sehen. Wenn ich an die menschliche Komponente denke, also die Fähigkeiten, die Mitarbeiter und Führungskräfte haben müssen, steht diese sowohl bei Lean Management als auch bei agiler Führung klar im Fokus. Für mich ist Lean Management eine Vorstufe von agilen Methoden. Unterschiede gibt es wenige, agile Führung ist eher eine Weiterentwicklung der Idee von Lean. Wenn man sich die Wurzel anschaut, dann haben sie dieselbe Energie. Das oberste Prinzip der Führung bei Lean Management ist „Leadership is a service to employ“. Und das ist im Agilen genauso. Du sagst den Menschen nicht mehr, was zu tun ist, sondern du wirst ihnen die besten Rahmenbedingungen geben, damit sie effizient arbeiten können. Darum gibt es für mich in dem Sinn, von außen natürlich Unterschiede, vom Motor ist es denke ich dasselbe. Denn im Endeffekt geht es darum, bei den Menschen anzusetzen. Ich kann mir eine noch so teure Software kaufen und hoffen, dass dadurch meine Produktivität gesteigert wird. So eine Software kann sich jedes Unternehmen kaufen. Die Menschen und ihre Fähigkeiten und Talente sind hingegen unbezahlt.

Was hilft Ihnen als nächstes?

Das Cynefin Framework

Wann soll ich welche Managementmethode anwenden und wie soll ich meine Mitarbeiter in welcher Situation wie führen? Das Cynefin Framework ist ein Wissensmanagement System und erfasst verschiedene Situationen anhand ihrer Komplexität, wodurch passende Handlungsweisen abgeleitet werden können. Insgesamt werden Situationen dabei in 4 verschiedene Felder unterteilt. In unserer Quick-Info haben wir das Framework kurz und knapp für Sie zusammengefasst.

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