Weite Strände, heiße Rhythmen, Fußball und der weltweit berühmt Karneval – Brasilien ist bekannt als lautes, buntes und charmant-chaotisches Land. Silke Körner, L&D Consultant und Trainerin, hat einige Jahr dort gelebt und trainiert und erzählt in diesem Beitrag, wie sie Führungskräfteentwicklung und Trainings in Brasilien erlebt und wie Digitalisierung und Leadership 4.0 das Land beeinflussen.

Gastbeitrag

Dieser Beitrag stammt von Silke Körner. Als gebürtige Deutsche hat sie viele Jahre als Trainerin und L&D Consultant in Brasilien verbracht, bevor sie 2016 zurück nach Köln gezogen ist. Silke Körner ist Mitbegründerin von zwei Trainingsunternehmen (Brasilien und Deutschland) die spezialisiert sind auf experimentelle Lerntechnologien, Führung und Teamtraining. Sie ist außerdem Mitbegründerin der European Ropes Course Association – ERCA. Seit 2015 arbeitet Sie bei MDI als Senior Training & Development Consultant für Zentraleuropa und ist dazu Spezialistin für Südamerika und Brasilien.

Übersetzte Fassung, Originalbeitrag auf Englisch lesen

Stellenwert internationaler Führungskräfteentwicklung in Brasilien

Ich kann beobachten, dass sich Brasilianische Unternehmen aktuell sehr stark mit der Entwicklung ihrer Führungskräfte befassen. Ich denke Brasilien hat immer schon in Übersee nach Inspiration und neuen Ansätzen gesucht und so stand auch die Führungskräfteentwicklung immer in Bezug dazu, was im Ausland passiert – mit Ausland sind vor allem die USA gemeint. Anderseits spürt man hier im Land auch das tief verankerte Bewusstsein für die eigene Brasilianische Kultur und das Bedürfnis, wirklich auf sie einzugehen und ihre Stärken herauszuarbeiten. Jede Herangehensweise an Führungskräfteentwicklung muss hier sozusagen einen Prozess der „Tropikalisierung“ durchlaufen, um akzeptiert zu werden. Ein Standardprozess, der von einem HQ aus dem Ausland „auferlegt“ wird, wird hier höchstwahrscheinlich scheitern.

Brasiliens größte Herausforderungen

Geschäfte in Brasilien zu machen ist immer mit hohen Kosten verbunden – man nennt sie hier „Custo Brasil“ – die zum Beispiel zusammen hängen mit der extrem komplexen und eher ineffizienten Bürokratie und Überregulierung im Land, der stufenweisen, komplizierten und enormen Besteuerung oder der teilweise schlechten Infrastruktur. Wer genau hinsieht kann außerdem beobachten, dass systemische Korruption nicht ausgeschlossen ist und die Regierung schon mal in die eigene Wirtschaft eingreift nur um politische Ziele zu verfolgen. Das ist historisch gewachsen und war schon immer eher ein Nachteil für Brasilien. In Zeiten billiger Arbeitskraft und relativ langer Produktlebenszyklen haben all diese Kosten schon die Margen verringert. Trotzdem waren in den meisten Fällen noch hohe Profite möglich.

Die Digitalisierung bedeutet heute nun einen unglaublichen Aufschwung für die Vernetzung im Land und mit der Welt, für die (oft nur virtuelle) Mobilität und für neue Ideen – und all das wird weiter voranschreiten. Obwohl Brasilien also ein riesiger Markt mit unglaublichem Potential ist, ist der Wettbewerb um Produkte und Dienstleistungen heftig. Investoren aus dem Ausland haben nun Zugang zu gleichwertigen Produkten aus der ganzen Welt. Darüber hinaus werden diese Produkte und Dienstleistungen aus dem Ausland oft günstiger und schneller zu haben sein. Aber auch Brasilianische Unternehmen werden sich überlegen (müssen), wie sie an mehr und günstigere Güter und Dienstleistungen aus dem Ausland kommen. Oder sie finden komplett neue Lösungen und Märkte um ihre Wettbewerbsfähigkeit und ihre Gewinnspannen zu vergrößern.

Digitale und agile Führungsqualitäten sind demzufolge für Brasilianische Unternehmen vielleicht noch viel wichtiger als für Unternehmen in Europa und den USA. Vorne mit dabei zu bleiben wird überlebensentscheidend für viele hier in Brasilien sein.

Bürokratie und Überregulierung in Brasilien

Kompliziert und überreguliert – Business in Brasilien

Leadership 4.0 und digitale Führung – Eine echte Revolution?

Die vernetze Welt in der wir heute leben hat die Geschwindigkeit in der Veränderungen passieren unvorhersehbar vergrößert: Die Art und Weise, wie Menschen und Unternehmen – ja sogar Dinge (Stichwort „Internet of things“) – miteinander kommunizieren, was Menschen von Produkten und Dienstleistungen heute erwarten, die Art dieser Produkte und Dienstleistungen sowie soziale Normen, Konstrukte und Verhaltensweisen.

Wenn Unternehmen und ihre Führungskräfte denken, diese Welle an neuen Entwicklungen würde sie schon mittragen und weiterbringen, ohne selbst etwas dazu besteuern zu müssen, sind sie meiner Ansicht nach auf dem falschen Weg. Ich finde aber auch nicht, dass gute digitale Führung automatisch heißt, alles mitzumachen und bei jeder neuen Entwicklung aufzuspringen. Was es aber heißt, ist für mich, mit der Geschwindigkeit der großen Welle mitzuhalten und nicht zurückzufallen. Wer dabei nicht wirklich bereit ist, Energie zu investieren, wird unausweichlich an Schwung verlieren. Ich bin mir sicher, dass auf unsere Märkte, Unternehmen, Gesellschaften und menschlichen Beziehungen in den nächsten Jahren noch weitere grundlegende Veränderungen durch die digitale Revolution warten.

Der Wert von Klassenzimmer-Training in einer digitalen Welt

Vor kurzem wurde ich gefragt, ob Klassenzimmer-Trainings heute überhaupt noch aktuell sind oder ob sie eher bald verschwinden werden aufgrund der disruptiven technischen Veränderungen, die im Gange sind. Nicht nur auf Brasilien bezogen war meine Antwort: Ich denke beides und nichts davon trifft zu. Klassenzimmer-Trainings sind heutzutage vielleicht oft etwas veraltet….verschwinden werden sie aber auch nicht. Viele Studien haben gezeigt, dass ein integraler Bestandteil von Lernen mit Beziehungen zusammen hängt – mit Lehrenden, Mitlernenden oder Menschen, denen wir selbst neu Erlerntes weitergeben. Und obwohl die Technik komplett neue und sich ständig weiterentwickelnde Wege ermöglicht, um miteinander zu kommunizieren, bin ich davon überzeugt, dass der Mensch in seinem Kern ein soziales Wesen ist, das reale, physische und Face-to-Face Interaktion braucht, um wirklich gut zu funktionieren. Auch wenn also die Klassenzimmer-Trainings zunehmend e-Learning und selbstgesteuertem Lernen weichen, wird Training ganz ohne Klassenzimmer-Aktivität weniger effektiv, weniger bereichernd und weniger nachhaltig. Um in diesem Zwiespalt zu bestehen, muss sich das Klassenzimmer-Training selbst weiterentwickeln und darf sich nicht länger an den Ansätzen des 20. Jahrhunderts festkrallen.

Wer über Aktuelles Bescheid weiß kommt schon weit in Brasilien

Verständnis für lokale Politik, Musik oder Fußball kann in Brasilien Türen öffnen

Erfolgreiches Klassenzimmer-Training in Brasilien

Beziehungen sind alles hier! Brasilianer lieben es, miteinander zu interagieren, zu lachen und sich über die gemeinsamen Interessen wie Politik oder Fußball auszutauschen. Ein Trainer, der aus dem Ausland nach Brasilien kommt tut gut daran, sich in die lokalen Politika und Gesellschaftsthemen einzulesen bevor er hier ein Training startet. Mit zumindest einem Basisverständnis der Brasilianischen Kultur (z.B. Musik, Fußball, BBQ, …) und einigen Worten in Landessprache kommt man hier schon sehr weit. Die Brasilianer lieben ihr Land und sind offen jedem gegenüber, der Interesse und Wertschätzung zeigt.

Bevor man hier also in berufliche Gespräche oder Vorhaben einsteigt, ist es unbedingt nötig, ein harmonisches Verhältnis auf der Beziehungsebene herzustellen. Diese Beziehungsebene ist entscheidend für jede Interaktion, Feedback – vor allem wenn es als Kritik interpretiert werden kann – kann sehr schnell persönlich genommen werden. Das erfordert einiges an Empathie und Taktgefühl.

Quick Tipp!

Quick Tipps sind Inspirationen und Ideen für Sie, liebe Leser dieses Artikels. Klar, einfach und in maximal 10 Minuten umgesetzt laden Sie unsere ExpertInnen im Quick Tipp am Ende jedes Artikels dazu ein, ihren (Führungs-)Alltag im Unternehmen zu verbessern oder weiter zu entwickeln – gleich jetzt, gleich hier!

QUICK TIPP VON SILKE KÖRNER:

Stellen Sie Ihre Anschauung aktuellen Meinungen und Hypes gegenüber

Ich mache das so: Zurückdenkend an die Auswirkungen der Digitalisierung auf die Training und Development Industrie oben sowie auf Führung ganz allgemein, stelle ich meine eigenen Annahmen auf die Probe, um Klarheit zu bekommen: Wie lernen Menschen heute wirklich – in jeglicher Situation? Warum sollten wir ein neues Tool oder eine neue Herangehensweise implementieren? Nur weil sie neu und faszinierend ist? Oder schafft sie wirklich Zusatznutzen und unterstützt unsere Ziele? Wenn ja, wie? Wie definiere ich “Führung” im weiteren Sinne – und was sagen die, die “geführt” werden darüber? Gibt es Prinzipien, die ihre Gültigkeit über Zeit und verschiedene Umstände hinweg bewahren?

Was interessiert Sie als nächstes?

Strategische Erfolgsfaktoren

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Die Herausforderungen beim Aufsetzen und Ausrollen internationaler Entwicklungsprogramme sind zahlreich: Viele involvierte Stakeholder in HQ und Ländern, unterschiedliche Interessen und Ziele, interkulturelle Differenzen und über allem natürlich der Anspruch, Ergebnisse zu erzielen, die das Unternehmen voranbringen. Wer in diesem Spannungsfeld Erfolg haben will, sollte nicht nur gut planen, sondern könnte auch von folgenden vier strategischen Erfolgsfaktoren profitieren.

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